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Holistic Management – Entscheidungsfindung in der Komplexität natürlicher Systeme (Teil 1)

Wenn ich die Frage gestellt bekomme, was Holistic Management – Ganzheitliches Management – ist, schwingt häufig das Thema “Da geht es doch ums richtige Weiden, oder?” mit. Deshalb ist vielleicht gut zu beginnen, dass Holistic Management nicht eine Sammlung von Werkzeugen der Landwirtschaft oder Landregeneration ist für eine neue Art der Beweidung.

Es geht viel mehr um die Frage: Wie kann ich bessere, ganzheitliche Entscheidungen treffen, wenn ich die Natur, ihre Komplexität, meinen Betrieb bzw. meine Organisation und mich selbst gesund mit einbeziehe?

 

Der Mensch und seine Entscheidungen

Menschen sind bekannt dafür, Entscheidungen auf der Grundlage eines kurzfristigen sozialen, ökologischen oder wirtschaftlichen Ergebnisses zu treffen, was kurz-, mittel- und langfristig unbeabsichtigte Folgen in den anderen Bereichen hat.

Wir neigen dazu, das unmittelbare Problem, was vor uns liegt, zu beschreiben, abzugrenzen und zu lösen – unsere Arbeit und Organisation nach dem Vorbild von maschinellen Abläufen auszurichten haben wir insbesondere im Rahmen der Industrialisierung gelernt.

Genauso laufen wir in die gleiche Falle, wenn wir uns stark nur auf soziale Probleme fixieren und uns durch unser Engagement verbrennen. Oder im Rahmen von gut gemeinten Innovationsideen zu schnell konkrete Lösungen suchen auf Basis nicht richtiger Fragen.

Wie schaffen wir es also, uns nicht auf das unmittelbare Problem zu fokussieren, sondern das Ganze im Auge zu behalten?

Wie können wir Lösungen, die zwar das unmittelbare Problem beheben, vermeiden und dadurch auch unerwünschte Kollateralschäden?

Wie können wir uns (wieder) als Teil von natürlichen, sozialen System sehen, und mit statt gegen die Komplexität dieser arbeiten?

Wie integrieren wir in unsere Entscheidungen die Art und Weise, wie wir unser Leben leben wollen – unsere Lebensqualität – jetzt und in Zukunft?

Wie können wir regenerative Organisationen und Gesellschaften erschaffen?

 

 

Holistic Management hat nicht die Antwort auf diese Fragen.

Im Holistic Management wird vor allem eine Änderung unserer Haltung und der Herangehensweise gefördert und gefordert.

Es unterstützt uns mit einem Rahmen aus Schlüsselerkenntnissen, Verständnis für die Ökosystemprozesse und Herangehensweisen zur Entscheidungsfindung, wie wir für unsere individuelle Situation mit unserer konkreten Umwelt besser agieren können – und fördert damit auch einen Systemwandel.

Ein gemeinsames Verständnis für das System legt den Grundstein für die Anwendung von Methoden und Werkzeugen. 

Wenn ich Holistic Management ganzheitlich nutze, dann, ja, geht es auch ums richtige Weidemanagement, sollte ich Land bewirtschaften.

Etwas zur Geschichte von Holistic Management

Holistic Management wurde von Allan Savory erforscht und formuliert. Alles begann mit seiner Suche, herauszufinden, was hinter der schnellen und anhaltenden Wüstenbildung in der Welt steckt. Nach einer langen und unerwarteten Reise erkannte er, dass der einzige gemeinsame Faktor, der der Wüstenbildung auf der ganzen Welt zugrunde liegt, die menschliche Entscheidungsfindung ist. 

Daraufhin entwickelte er das Holistic Management als Rahmen für die Unterstützung von Landmanagern, um Landmanagement-Entscheidungen zu treffen, die die Wüstenbildung aufhalten und sogar umkehren.

In seinem bekannten TED Talk von 2013 (mit deutschen Untertiteln verfügbar) geht er näher auf die Ursprünge und Wirkungsweise von Holistic Management ein.

Dies ist ein wichtiger Hintergrund, denn der Schwerpunkt der Materialien zum Thema Holistic Management, sei es in gedruckter Form, als Audio- oder Videodatei oder in anderer Form, lag fast ausschließlich auf Holistic Management in einem Landmanagement-, Ackerbau- oder Ranching-Kontext und insbesondere auf dem Verständnis, wie die Art der Beziehung zwischen Weidetieren und Grasland das Land regenerieren – oder degenerieren – kann.

Holistic Management wurde jedoch zu einem ganzheitlichen Entscheidungsfindungsprozess weiterentwickelt, der uns die Möglichkeit gibt, die von uns gewünschte Zukunft zu gestalten und zu planen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die Umwelt sie erhalten kann. Dieser Entscheidungsprozess kann dazu dienen, einen Bauernhof, einen Nationalpark oder die Wasserversorgung einer Stadt zu managen, oder das persönliche Leben, einen Haushalt, ein Unternehmen oder eine Organisation jeglicher Art.

Basis für eine ganzheitliche Betrachtung

Die Grundlagen aus Schlüsselerkenntnissen, Ökosystemprozessen und ganzheitlichem Kontext bilden unseren Startpunkt auf dem Weg zu ganzheitlichen Entscheidungen in komplexen Systemen wie der Natur. 

Über dies lassen sich Bücher schreiben und mehrtägige Kurse halten, deshalb reiße ich diese hier nur kurz an, um Lust auf das persönliche Erkunden und Erfahren zu machen statt allzu ausschweifend zu werden.

Die 4 Schlüsselerkenntnisse

Im Holistic Management bauen wir auf vier Schlüsselerkenntnissen auf, die auf der Beobachtung der Natur beruhen. Diese sind für die Arbeit mit Land und Tieren besonders wertvoll, zeigen uns aber wie Lösungen in der Komplexität nicht einfach vorhersagbar sind:

  1. Die Natur funktioniert in Ganzen, die größer sind als ihre Bestandteile und welche wiederum Teile von größeren Ganzen sind.
  2. Jede Umwelt findet sich auf der Dürreskala wieder, welche die Verteilung von Feuchtigkeit und Niederschlag über das ganze Jahr hinweg beschreibt.
  3. Die Anwesenheit und Abhängigkeit zwischen natürlichen Raubtieren und Pflanzenfressern gestaltet das regionale Ökosystem.
  4. Zeit statt Anzahl von Tieren führt zur Überweidung – also, nicht wieviele Tiere gleichzeitig weiden, sondern wie lange und wann diese wieder zurückkehren an die gleiche Stelle.

Unsere Ökosystemprozesse – Fenster in den gleichen Raum

Wir brauchen für den eigenen Start keine Biolog:innen, Expert:innen oder Forscher:innen zu sein, um ein gesundes Verständnis der vier Ökosystemprozesse zu entwickeln. Stattdessen geht es darum, unsere eigene Beobachtungsgabe zu schärfen oder neu zu entdecken:

  • Wasserkreislauf – Wie gut zirkuliert das Wasser?
  • Mineralienkreislauf – Wie gut zirkulieren Nährstoffe in und auf dem Boden und durch die Pflanzen?
  • Energiekreislauf – Wie effektiv ist die Umwandlung von Sonnenenergie?
  • Gemeinschaftsdynamiken – Wie hoch ist die Artenvielfalt und die Dynamiken zwischen diesen?

Diese sind alle “Fenster in den gleichen Raum”, d.h. sie hängen alle miteinander zusammen und eine Verbesserung des einen kann direkte Auswirkungen auf die anderen Prozesse und unser betrachtetes Ökosystem haben.

An blanken Böden, Pflanzenabständen, Erosionsspuren, Altersklassen, Artenvielfalt und weiteren Beobachtungen können wir verstehen, wo mir mit diesen auf unserem Land oder in unserer Umgebung stehen und woran wir eine Entwicklung in die wünschenswerte Richtung erkennen können.

Farm in green fields from above

Das Ganze und mein Holistischer Kontext

Um zu wissen, welche Entscheidungen für meine Umwelt, meinen Betrieb oder Organisation und meine Lebensqualität die richtigen sind und welche Werkzeuge dazu passen, steht vor allem die Erarbeitung meines individuellen Holistischen Kontexts im Fokus:

  • Was ist das Ganze, was wir managen? 
  • Was ist unser Daseinszweck?
  • Was ist für uns Lebensqualität?
  • Und wie stärken wir zukünftige Beziehungen sowie Land und Klima, was wir uns wünschen?

Dieser Rahmen bietet die Basis unseres Verständnisses und wird intensiv in den Grundlagen und Trainings von Holistic Management erarbeitet. 

Er unterstützt mich bei

  • kurz-, mittel- und langfristigen sowie
  • sozial, ökologisch und wirtschaftlich sinnvollen Entscheidungen.

Und das als Teil von komplexen, natürlichen Systemen, wie wir sie nicht nur in der Bewirtschaftung von Land, sondern auch in jeder menschlichen Organisation wiederfinden.

Ganzheitliches Management stellt damit eine große Forderung vor allem an uns selbst.

Am Beispiel der Landbewirtschaftung

Es geht um den Wandel der Betrachtungsweise, weg von „Ertrag pro Hektar“ oder “Gewichtszunahme pro Tier” hin zu Qualität unserer Böden und der Gesundheit des gesamten Systems. Denn das Stärken und Regenerieren unseres Ökosystems steigert als “Nebeneffekt” auch

  • die Produktionsfähigkeit von Boden und Tieren,
  • die Umkehr von Verwüstung,
  • die Bindung von CO2 und
  • den Aufbau einer lokalen Resilienz und vielfältigen Landwirtschaft, mit Lebensqualität für die Landbewirtschafter:innen und Spaß daran.
A picture of a desertified field Australia in 1992
A photo of a green grassfield and cattle in Australia
Vor (1992) und nach Einsatz von Holistic Management (1999) | Source: https://savory.global/resource-library/

Kurz auf den Punkt gebracht

Im Kern ist Holistic Management also ein ganzheitlicher Gestaltungsprozess, der auf jede Organisation anwendbar ist, die von mindestens einem Menschen, der Entscheidungen trifft, gemanagt wird.

Unser Ziel ist es, sozial, ökologisch und ökonomisch gute Entscheidungen treffen zu können. Diese sollen kurz-, mittel- und langfristig fundiert sein, um unsere individuelle, soziale Gesundheit und unser Glück als auch die Gesundheit und Vielfalt des Ökosystems zu fördern.

Welche Methoden & Tools innerhalb des Holistic Management Frameworks zur Anwendung kommen, darauf schauen wir im nächsten Teil.

“The average citizen generally assumes that someone somewhere is going to do something. [...] That someone, as it turns out, is going to have to be ordinary folks like us.”

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